Geographie | Exkursion Nepal 2012
Räume im Himalaya: Zwischen Shangri La und Konfliktregion
Ziel der Großen Exkursion, die von Prof. Dr. Marcus Nüsser mit Dr. Susanne Schmidt vom 22.09- 15.10.2011 geleitet wurde, war das Annapurna-Massiv im Bereich der Himalaya-Hauptkette. Die aus 17 Studierenden bestehende Exkursionsgruppe wurde im Kathmandu-Tal von Prathibha Khanal und Rajesh Lal Shrestha, den beiden MitarbeiterInnen der Kathmandu-Außenstelle des Südasien-Instituts und von Laxmi Nath Shresta, einem Nepali-Lehrer des SAIs, unterstützt. Sowohl zu Beginn als auch am Ende der Exkursion standen die politischen und sozio-ökonomischen Entwicklungsprozesse und die damit einhergehenden Umweltveränderungen, sei es durch die zunehmende Wasserproblematik oder die zunehmende Ziegelgewinnung, im Kathmandu-Tal mit den drei ehemaligen Königsstädten Kathmandu, Patan und Bhaktapur im Vordergrund. Während einer Stadtführung hat Niels Gutschow, Honorarprofessor am SAI, die Herausforderungen der Stadtentwicklung und der Erhaltung des kulturellen Erbes von Bhaktapur anschaulich vorgestellt. Während eines Besuchs bei ICIMOD hat Dr. Michael Kollmair zunächst die Organisation und dann verschiedene Projekte, wie zum Beispiel der Einkommensverbesserung der lokalen Bevölkerung durch Einflussnahme in die Wertschöpfungskette, vorgestellt. Nach seinem Vortrag beantwortete er weitere Fragen bezüglich der Entwicklungsprozesse in der Himalaya-Region.
Regionaler Schwerpunkt der Exkursion war jedoch das Annapurna-Massiv (Foto 3). Dieses Gebiet ist durch extreme naturräumliche Gegensätze gekennzeichnet, die sich in der Reliefenergie zwischen dem Kali Gandaki-Tal und Annapurna-Gipfel eindrucksvoll darstellt und eine erhebliche thermische und hygrische Differenzierung bewirkt. Die 220 km lange Exkursionsroute, die vom westlich des Annapurna gelegenen Marsyangdi-Tal über den 5419 m hoch gelegenen Thorung La ins Kali Gandaki-Tal führte, eignete sich somit hervorragend für die Veranschaulichung verschiedener hochgebirgsgeographischer Themen. So konnten mit der Überschreitung der Himalaya-Hauptkette innerhalb weniger Tage die Niederschlagsgegensätze veranschaulicht werden, die zwischen der semi-humiden Süd- und der semi-ariden Nordabdachung der Himalaya-Hauptkette existieren. Zu Beginn der Exkursion war der auslaufende Monsun ein ständiger Begleiter, der die Rucksäcke auf eine harte Probe gestellt hat. Erst im Regenschatten des Annapurna-Massivs wurden die Niederschläge geringer und die ersten Blicke auf die umliegenden Gipfel wurden frei. Die extremen Niederschlagsunterschiede spiegeln sich auch in der Vegetationsverteilung, landwirtschaftlichen Nutzung und Siedlungsstruktur wider. Mit der großen Vertikalerstreckung von 930 auf 5419 m ü. M. reichend, konnte die Höhenzonierung der Vegetation, die von der collinen bis zur nivalen Stufe reicht, die extrem hohe Artenvielfalt, verschiedene Anpassungsstrategien der Pflanzen, wie z. B. an die Solifluktionsböden, lange Schneebedeckung oder Lawinen, und die hygrisch-bedingten Unterschiede der Vegetation thematisiert werden. Weiterhin verursacht das extreme Steilrelief gravitative Massenbewegungen, die zudem durch die künstliche Versteilung des Böschungswinkels durch den Straßenbau zusätzlich begünstigt werden. Besonders kontrovers wird der aktuelle Straßenbau zur Erschließung des Kali Gandaki- und Marsyangdi-Tals in den Medien diskutiert. Hierbei stellen aber weniger die Naturgefahren ein Problem dar, sondern vielmehr die romantisierende Vorstellung der westlichen Trekker, die das Annapurna-Massiv in den letzten Jahren als eine bevorzugte Trekking-Destination entdeckt haben. Entsprechend des großen Tourismusaufkommens sind entlang des Weges zahlreiche kleine Hotels entstanden, die in nur wenigen Monaten des Jahres 20000 Touristen beherbergen. Die Waren und Güter werden mit Maultieren oder Trägern in die Dörfer gebracht. Um den hohen Transportaufwand zu illustrieren, wurde während der Exkursionsroute ein Bier- und Wasserpreisindex erhoben. Im Gegensatz zu dem verkehrstechnisch abgelegenen Marsyangdi-Tal ist das Kali Gandaki-Tal, durch das schon seit Jahrhunderten eine wichtige Handelsroute führt, über die Waren zwischen dem tibetischen Hochplateau und dem südasiatischen Tiefland transportiert wurde, mit einer breiten Straße erschlossen. Mit der verkehrstechnischen Anbindung wird auch der Anbau von Äpfeln und Aprikosen, die frisch oder in Form von Apfelsaft oder –brandy nach Phokara, der zweitgrößten Stadt Nepals, und sogar bis ins Kathmandu-Tal exportiert werden, gefördert. Von der hohen Qualität der Äpfel und der Veredelungsprodukte konnten wir uns ein Bild in dem kleinen Dorf Marpha machen.
Den krönenden Abschluss der Umrundung stellte der nahezu wolkenfreie Blick auf das Annapurna- und Daulaghiri-Massiv bei Sonnenaufgang dar. Noch einmal wurden an diesem Tag die Beine und Knie beim Abstieg über 1000 Treppenstufe stark beansprucht. Der Rückweg führte dann über die Stadt Phokara, die stark vom Tourismus-Boom profitiert, zurück nach Kathmandu.