Geographie | Exkursion Ladakh 2014
Mensch-Umwelt-Beziehungen im Trans-Himalaya
Im September 2014 führte erneut eine große Exkursion nach Ladakh. Am Tag der Anreise wurden auf Grund der starken Niederschläge entlang der Himalaya-Hauptkette, durch die weite Teile des Beckens von Kashmir überflutet wurden, sämtliche Flüge von und nach Ladakh für drei Tage abgesagt und die Zufahrtsstraßen gesperrt. Für den ungeplanten Aufenthalt in Delhi wurde kurzfristig vom Mitarbeiter Ravi Baghel ein attraktives Alternativprogramm zusammengestellt, bei dem die Studierenden verschiedene kleine Forschungsfragen entwickelten und damit Teile der Stadt erkundeten. Die ersten Tage in Leh, die zugleich der Akklimatisierung in großen Höhen und der Erholung von Delhi dienten, wurden die historischen und aktuellen Entwicklungsprozesse der Stadt thematisiert. Die ehemalige Bedeutung der Stadt Leh als wichtiger Handelsknotenpunkt zwischen dem tibetischen Hochplateau und dem südasiatischen Tiefland ist noch heute durch den großen Basar ersichtlich. Der grenzüberschreitende Handel kam mit den Grenzkonflikten zu den Nachbarstaaten Pakistan und China komplett zum Erliegen. Seit der Öffnung Ladakhs für Ausländer im Jahr 1974 stellt der Tourismus einen wichtigen und wachsenden ökonomischen und zunehmend stadtbildprägenden Faktor dar. Neben den unzähligen Hotelbauten auf den ehemaligen Bewässerungsfluren sind heute im alten Basar viele Geschäfte auf den Tourismus ausgerichtet. Diese ökomische zentrale Stellung der alten Basarstraße wird durch die grundlegende und kontrovers diskutierte Modernisierung unterstrichen, die während der Exkursion im vollen Gange war.
Eine große Herausforderung für die Stadtentwicklung von Leh, wie für die Landwirtschaft in dem gesamten Hochgebirgsraum von Ladakh, stellt die Wasserversorgung dar. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen haben sich dieses Problem zur Aufgabe gemacht, so auch Leh Nutrition Project (LNP). Diese NGO ist vor allem durch die Entwicklung von sogenannten künstlichen Gletschern international bekannt geworden. Einer dieser künstlichen Gletscher ist der Exkursionsgruppe von Tensing Norphel - auch als Glacier Man bekannt - und anderen Mitarbeitern der NGO, im östlich von Leh liegenden Dorf Nang gezeigt worden. Mit diesen vom Prinzip her einfachen Konstruktionen, die knapp oberhalb der Bewässerungsflur liegen, soll das Wasserangebot während der Aussaat erhöht werden, um somit Wasserdefizite auszugleichen. Ein weiteres Problem der Besiedlung stellen Naturgefahren dar, wie die Sturzfluten im Sommer 2010 zeigten. Zwei der Murgänge wurden von Nasrin Tabassum, einer Doktorandin von der University of Kashmir, vor Ort gezeigt und bei einem abendlichen Vortrag hat sie die Folgen für die Menschen und auch die Probleme der Wiederaufbauarbeiten diskutiert. Nach diesem kurzen Aufenthalt in Leh führte ein Abstecher - über einen der höchsten befahrbaren Pässe der Welt, dem Kardong La (5 380 m) - ins Shyok- und Nubra-Tal. Das Shyok-Tal ist aus geomorphologischer Sicht besonders interessant. Die Talhänge des breiten und eben ausgebildeten Talbodens zeigen stellenweise imposante Relikte der glazialen Überprägung in Form von mächtigen Seitenmoränen. An anderen Stellen sind große Glatthänge ausgebildet, die für periglaziale Hochgebirgsregionen charakteristisch sind. Eine besondere touristische Attraktion stellen jedoch die Sanddünen vor der Hochgebirgskulisse dar.
Der regionale Schwerpunkt der Exkursion lag jedoch im südwestlich von Leh liegenden Zanskar. Im Gegensatz zu Zentralladakh hat die verkehrstechnische Erschließung der Zanskar-Region erst in den letzten Jahren begonnen, so dass diese Region nach wie vor nur über einen weiten Anfahrtsweg über Kargil zu erreichen ist und viele Dörfer nicht erschlossen sind. Eine neue Straße soll jedoch gebaut werden, die das Tiefland über Padum und Lamayuru mit Leh verbindet, womit Kargil in die Peripherie rücken wird. Während der zweitägigen Jeeptour, die über Kargil und Padum zum 90 km (Luftlinie) entfernten Stongde führte, wurden die Grenzkonflikte zwischen Pakistan und Indien thematisiert. Die geopolitisch-strategische Bedeutung dieses Raums wird durch die hohe Militärpräsenz und den guten Straßenausbau entlang der militärisch wichtigen Verbindung deutlich. In Stongde angekommen konnte wie bereits im Indusbecken die Bedeutung der Bewässerung für die landwirtschaftliche Nutzung eindrücklich veranschaulicht und die Nutzungsveränderungen der Bewässerungsflur diskutiert werden. Ab Stongde wurde die weitere Exkursionsroute, die entlang des Zanskar-Flusses Richtung Norden zum Indus führte, zu Fuß zurückgelegt. In dem wenig erschlossenen Zanskar wurden die Herausforderungen der Lebenssicherungsstrategien in peripheren Hochgebirgsräumen diskutiert. Entlang der Saumpfade, die heute auch vom Trekkingtourismus genutzt werden, wurden sowohl vegetationsgeographische Aspekte, wie in der Literatur bisher nicht beschriebene Juniperus-Bestände oder die Charakteristika der Artemisia-Steppen, geologische Formationen und Ophiolithkomplexe, der Umgang mit Naturrisiken als auch Ernährungssicherungsstrategien in diesen entlegenen Dörfern angesprochen.
Nach Ankunft in Lamayuru führte die Tour im Jeep zurück nach Leh mit einem Stop am Anfang 2015 fertiggestellten Staudamm bei Alchi, womit Aspekte der politischen Ökologie und Konflikte um die Ressource Wasser abschließend diskutiert werden konnten. Trotz der anfänglichen Verspätung konnte die Exkursion am Ende weitestgehend nach Plan durchgeführt werden und den Studierenden konnte ein Einblick in den semiariden Hochgebirgsraum, die Anpassungsstrategien der lokalen Bevölkerung sowie die aktuellen politischen und sozioökonomischen Entwicklungen gegeben werden.